In diesem Buch erzählen Lübecker und Nordwestmecklenburger von ihrem Leben mit der innerdeutschen Grenze. Die vorliegenden Protokolle sind aus langen und zumeist sehr persönlichen Gesprächen hervorgegangen. Ich habe die Menschen in ihren Wohnungen oder an ihren Arbeitsplätzen besucht und habe mich immer willkommen gefühlt. Dafür und für die Bereitschaft, andere an ihren »Grenzerfahrungen« teilhaben zu lassen, möchte ich mich bedanken. Das Thema bewegt die Menschen noch immer, und die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen sind bis heute berührt von Erlebnissen, die bereits Jahrzehnte zurückliegen. […]
Bald nach der Grenzöffnung änderte sich ein einziges Wort — aus »Wir sind das Volk« wurde »Wir sind ein Volk« —, und die Entwicklung nahm eine neue Richtung. Immer lauter wurde die Forderung nach der Einheit. Die Abstimmung mit den Füßen, die massenhafte Abwanderung junger Leute aus der DDR, tat ihr übriges. Damit platzten auch die Träume, von denen einige Menschen in diesem Buch erzählen. Sie hatten sich einen menschlichen Sozialismus gewünscht, auf eine demokratisierte DDR gehofft. Mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik schließlich war auch die Vision eines »Dritten Weges« hinfällig, die Idee, die Vorteile der beiden deutschen Gesellschaften in einem neuen Staat zu vereinen.
Die deutsch-deutsche Grenze war überflüssig geworden. Ein Grund zur Freude für die meisten. Für den Kommandeur des Grenzregiments Schönberg hingegen ging damit nicht nur der Arbeitsplatz verloren. Major Heinze hatte auf eine militärische Karriere gesetzt, war stark mit der DDR identifiziert. Sich beruflich umzuorientieren und sich dabei nicht selbst aufzugeben, war für ihn die größte Herausforderung der nachfolgenden Jahre.
Wie für ihn, so brachte die Einheit nicht für alle Menschen, die hier zu Wort kommen, ausschließlich positive Entwicklungen mit sich. Während für die meisten Lübecker und erst recht für Menschen, die weiter im Westen der Bundesrepublik wohnten, das Leben auch nach der Wende seinen gewohnten Gang ging, veränderte sich der Alltag eines jeden DDR-Bürgers bis ins Detail. Zu würdigen, wie stark die Biografien der Ostdeutschen durch die historische Zäsur 1989 erschüttert worden sind, ist eine wichtige Voraussetzung zur weiteren Annäherung der Menschen in Ost und West — das glauben die meisten Menschen, mit denen ich gesprochen habe. Es tut gut, sich gegenseitig zuzuhören und die jeweiligen »Grenzerfahrungen« auszutauschen. Ein bewegtes und bewegendes Stück Zeitgeschichte wird dabei lebendig.
Aus dem Vorwort von Karen Meyer-Rebentisch